Sabrina Jung
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Misses
Marina Sammeck

Die Misses (2022) von Sabrina Jung sind eine Serie aus Porträts, die auf Fotografien aus den Zwanziger- bis Vierzigerjahren beruhen. Die nachträglich kolorierten Bilder verstärken die typischen Posen und das zurechtgemachte Erscheinen junger Frauen, das für dieses Genre typisch ist. Durch ihre künstlerischen Eingriffe bricht Sabrina Jung jedoch mit der romantischen Nostalgie, die man mit diesen Fotografien verbindet. Denn irgendetwas an den Gesichtern der jungen Damen irritiert, die Gesichtszüge wirken „unharmonisch“ und fügen sich nicht ganz in die inszenierte Aufmachung ein. Je mehr man sich auf ihren gerade in die Kamera gerichteten, den/die Betrachter*in geradezu fixierenden Blick einlässt, desto weniger klar erscheint es, wem man in diesen Bildern eigentlich begegnet.
Bei der Serie der Misses handelt es sich um fiktive Porträts, die in einem digitalen Collageverfahren entstanden sind. Sabrina Jung wählt aus alten Fotografien, die auf Plattformen wie ebay angeboten werden, Ausschnitte aus weiblichen und männlichen Gesichtern aus und kombiniert diese zu einem neuen Antlitz, das sich nicht mehr klar einordnen lässt und keinem binären Geschlechter- und Schönheitsmodell entspricht. Die Künstlerin destabilisiert damit zentrale Mechanismen der menschlichen Wahrnehmung und Gewohnheiten der Kategorisierung. So lassen die Porträts das Gesehene in einer unbequemen Schwebe, die dem Bedürfnis, Eindrücke schnell einzuordnen, entgegenläuft. Zudem entlarven die Bilder den Blick, der sich oft noch an einem Schönheitsideal orientiert, das nach „weiblichen“ oder „männlichen“ Merkmalen ausgerichtet ist. Bei den Gesichtern der Misses, die sich diesen Kategorien entziehen, scheitert der Betrachter unweigerlich.
Die farbkräftigen Kolorierungen, die an das Nachfärben per Hand aus der Zeit der schwarz-weiß Fotografie erinnern, die eleganten Posen und die damit vollständig brechenden ambiguen Gesichter machen die Misses zu einer visuell reizvollen Bildserie, die einen herausfordernden, fast spielerischen Charakter mitbringt. Die Porträts konfrontieren die Betrachter*innen aber auch mit ihren eigenen stereotypen Sehgewohnheiten. Der Irritationsmoment, den die fiktiven Gesichter auslösen, entsteht zuletzt auch dadurch, dass sie den gängigen Kategorien nach als „nicht schön“ wahrgenommen werden. Sie befinden sich auf einer Schwelle, für die es noch keine eindeutigen Begriffe gibt. Damit fügt sich Sabrina Jungs Serie der Misses in die Debatten um einen erweiterten Identitätsbegriff ein, der unter dem Begriff der „Queerness“ zurzeit diskutiert wird.

 

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