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Queers
Miriam Schmedeke
„Heute lernt der aufgeklärte Mensch, sein Leben wie ein Schauspiel zu erleben, seine Rollen in der Gesellschaft richtig zu spielen; dazu bedient er sich verschiedener Attribute der Maskerade: Schminke, Sonnenbrille, Frisur, Mode. Die Alltags-Maske ist Gesellschaftsspiel, und das alltägliche Theater mit Masken bietet Ersatzwirklichkeit, doppelte Realität – die Grundbedingung jeden Theaters.“
(Krieger, Uwe: Maske/Maskentheater, in: Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles)
In verschiedenen Serien hat die Künstlerin Sabrina Jung die Sichtbarmachung der Konstruktion von Identität und deren Auflösung im fotografischen Porträt zum Thema gemacht. Dabei greift sie stets auf gefundenes, antiquarisches Fotostudio-Material zurück, das sie durch digitale Eingriffe verfremdet und zuletzt analog collagiert.
Auch Ulla, Cleo und Lulu aus der Serie „Queers“ (2021) entspringen einem Bearbeitungsprozess, bei dem zunächst das gefundene Material digitalisiert und auf ein 1:1 Verhältnis zum Betrachter vergrößert wird. Anschließend werden die Gesichter der Personen digital mit einem weiteren, dem anderen Geschlecht angehörigen Gesicht verschmolzen, um dieses neue ‚Gesicht‘ dann in einem abschließenden Schritt analog auf das ursprüngliche Antlitz aufzubringen. Bei einigen der „Queers“ fallen besonders markant hervorstechende Augenbrauenwülste oder ein leichter Oberlippenschatten sofort ins Auge. Im Gegensatz zur vorangegangenen Serie der „FeMales“ hat hier die Künstlerin einzelne physiognomische Merkmale in der selektiven Bearbeitung stärker hervorgehoben. Und auch die Kleidung der „Queers“ orientiert sich nicht mehr an der Idee der analogen Nachkoloration, also wie die abgebildete Person eventuell wirklich ausgesehen haben könnte, sondern wurde von Sabrina Jung in Form von extremen Farbkontrasten frei gestaltet. Die vermeintlich fotografische Genauigkeit in der Erfassung der individuellen Physiognomie weicht in den Porträts von Sabrina Jung also einer Maske, die der digitalen Feder der Künstlerin entspringt und jeweils aus einem weiblichen und einem männlichen Gesicht zusammengesetzt wird. Wie lässt sich die Funktion der Maske in den ‚Porträts‘ der Künstlerin verstehen?
Die (Alltags-)Maske ist allgegenwärtig in unserer täglichen Kommunikation mit Menschen – wir verwandeln unser Gesicht in eine Maske, wenn wir uns in eine gesellschaftlich vorgegebene Rolle begeben. (Belting, Hans: Eine Geschichte des Gesichts) Unsere gesamte Begegnung mit anderen Menschen ist also zunächst weniger darauf ausgelegt, die individuellen Züge und Physiognomie eines Gesichts bzw. einer Person zu erfassen. Stattdessen sind wir in unserer sozialen Interaktion darauf angewiesen, dass sich die Gesichter anderer Menschen gemäß unseren erlernten Masken einordnen lassen. Dies ist kein zeitgenössisches Phänomen sondern unterliegt einem historischen Wandel, der sich auch anhand der Porträts von Sabrina Jung und der dort praktizierten fotografischen Erfassung des Gesichts eines Menschen und des währenddessen praktizierten Auflegens einer ‚Maske‘ ablesen lässt.
Indem die Künstlerin das neue ‚Gesicht‘ der Queers in einem analogen Prozess aufklebt, unternimmt sie einen wesentlichen künstlerischen Eingriff, die gesellschaftliche Tragweite der Schnittstelle von Gesicht und Maske ersichtlich zu machen. Durch die digitale Collage eines genderfluiden Gesichts, das sowohl weibliche als auch männliche Physiognomien enthält, setzt die Künstlerin eine Maske ein, die es gemäß unseren Spielregeln unmöglich macht, auf ein Individuum zu schließen. Die gängigen Konventionen in der Erfassung unseres Gegenübers werden von Sabrina Jung außer Kraft gesetzt und die erlernten Zuordnungen lassen sich nicht länger aufrechterhalten.
Doch nicht nur unsere Unfähigkeit, die individuellen Gesichtszüge der Personen auszumachen wird von der Künstlerin sichtbar gemacht, sondern auch die Reichweite dieses Prozesses im Hinblick auf unsere Voreingenommenheit in der Verordnung einer Person in Bezug auf das Geschlecht. Ist diese ‚Maske‘ eher weiblich oder doch mehrheitlich männlich? Die heteronormative Wahrnehmung, durch die unsere Auseinandersetzung mit den Porträts Sabrina Jungs geprägt ist, schlägt sich nicht nur darin nieder, wie wir selbst das Gender unseres Gegenübers anhand der Maske ablesen. Im Umkehrschluss blicken wir auch in das ‚Gesicht‘ unserer eigenen (Alltags-)Masken, mit denen wir täglich hantieren.
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