Sabrina Jung
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Katalogtext "Stiftungspreis Fotokunst"
Alison und Peter Klein Stiftung

Ludwig Seyfarth

Eigentlich ist Sabrina Jung eine Surrealistin. Zumindest folgt sie dem Rat André Bretons an seine Künstlerkolleg*innen, das Material und die Inspiration für ihre Kunst auf dem Flohmarkt zu suchen. Dieser heißt inzwischen meistens ebay, aber wie einst die Surrealisten sucht und findet die Künstlerin hier Relikte vergangener Epochen, die sie in überraschende neue Zusammenhänge stellt, beispielsweise Fotografien, die zwischen den 1920er und 1960er Jahren in Porträtstudios entstanden sind. Für die Aufnahme haben sich Frauen stets zurecht gemacht und sich dann ablichten lassen, wie es offenbar den jeweiligen damaligen Schönheitsidealen entsprach. Schönheitsideale wandeln sich, was Sabrina Jung auf ebenso einfache wie überzeugende Weise in der Serie Schöne Frauen deutlich macht. Wir sehen nicht mehr die ursprünglichen Gesichter, sondern andere, aus zeitgenössischen Modemagazinen ausgeschnittene, die auf die digital vergrößerten Studiofotos so collagiert sind, dass die vergrößerten Gesichter aus den Magazinen diese überlagern. Es sieht nun fast so aus, als würden die Frauen Masken tragen.
Masken suggerieren, dass sich hinter ihnen ein „wahres“ Gesicht verbirgt, aber Gesichtern, die Schönheitsidealen entsprechen, haftet oft selbst etwas Maskenhaftes an.
So wissen wir nicht, ob die von Sabrina Jung als androgyn oder maskulin empfundenen Gesichtszüge auf den Fotostudiobildern, die sie für die Serie WoMen ausgewählt hat, zur Zeit der Aufnahme auch so empfunden wurden und ob sich Rückschlüsse beispielsweise auf die Geschlechtsidentität der Porträtierten ziehen lassen. Die Künstlerin hat diese Bilder mit Eiweißlasurfarben so übermalt hat, dass Assoziationen an queeres Schminken etwa bei Drag Queens geweckt werden. Mit dem heutigen Bewusstsein für Nuancen zwischen den Kategorien männlich-weiblich sind wir geneigt, Vermutungen über nicht auslebbare Neigungen dieser Personen anzustellen. Wir befinden uns wieder in einem Kaleidoskop von Masken – eine Maskerade, die vielleicht nur der Tod durchbrechen kann. Schon im 19. Jahrhundert wurde es üblich, Verstorbene im Bett liegend zu fotografieren. Post Mortem scheint der Mensch zu seiner wahren Identität zurückgekehrt. Wie Totenmasken halten die Fotos das letzte Gesicht eines Menschen fest, der wie von allen öffentlichen Masken „befreit“ zu sich selbst zurückgekehrt zu sein scheint. In der Serie Touched – Post Mortem hat Sabrina Jung die Toten auf den Fotos mit wenigen Farbspuren gleichsam noch einmal berührt, so als ob sie ihnen imaginär noch einmal Leben einhauchen wollte und betont dadurch das Surreale und letztlich doch irgendwie Maskenhafte dieser Inszenierung von Leichnamen. Die Arbeit „Schöne Frauen“ visualisiert die Diskrepanz zwischen im Fotostudio inszenierten weiblichen Rollenvorbildern und den durch die Werbung suggerierten gesellschaftlichen Schönheitsidealen. Die verwendeten Frauenportraits aus den 1920er-50er Jahren sind überlagert durch die perfekt geschminkten Gesichter der Models, die man in aktuellen Modemagazinen findet. Trotz der unterschiedlichen Entstehungszeit des Ausgangsmaterials entsteht eine Form von symbiotischem Verhältnis, welches die ewige Sehnsucht nach makelloser Schönheit und den damit verknüpften Attributen jedoch nur im ersten Moment zu erfüllen scheint. Beim zweiten Blick wird das scheinbar Perfekte zur unheimlichen Maskerade. Medium und Model scheinen sich gegenseitig zu bedingen – eine Sehnsucht in ein Bild einschreiben zu wollen. So entsteht ein Netz aus offenen Fragen um den Begriff der Schönheit: Welches gesellschaftlich entworfene Schönheitsideal gilt? Wie wird ein etabliertes Rollenklischee innerhalb der Fotografie genutzt und gefestigt? Welche bewussten und unbewussten Vorstellungen von Schönheit werden auf das Bild projiziert?

 

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